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klassik.com

Kritik von Dr. Stefan Drees, 03.05.2007
Billone, Pierluigi: 1+1=1
Label: Kairos

Raffinierte Klanguntersuchung

Ein Werk für zwei Bassklarinetten, das zudem noch eine Dauer von rund siebzig Minuten hat? Eigentlich kann man sich das gar nicht so recht vorstellen. Der italienische Komponist Pierluigi Billone, der in den vergangenen Jahren in der Neue-Musik-Szene immer wieder durch seine extravaganten, klanglich bis ins kleinste Detail durchdachten Instrumentalwerke aufgefallen ist, hat sich an dieses Experiment gewagt. Der Mut zur Beschränkung auf zwei gleiche Blasinstrumente der Basslage ist ungewöhnlich und macht neugierig, doch geht Billone noch einen Schritt weiter. Darüber gibt der Werktitel ‘1+1=1’ Auskunft, der – anspielend auf ein kurze Szene aus Andrej Tarkovskijs Film ‘Nostalghia’ – auf ein tieferes Verständnis von der Einheit eines aus zwei gleichen Teilen Zusammengefügten verweist. Übertragen auf die Musik bedeutet dies, dass der Komponist die Bassklarinetten nicht als Duo behandelt, sondern mit der Vorstellung eines klanglichen Ganzen arbeitet, das aus zwei gleichwertigen Komponenten besteht.

Billone, geboren 1960, gehört für mich zu den aufregendsten Komponistenpersönlichkeiten seiner Generation. Faszinierend ist vor allem sein höchst differenzierter Umgang mit dem Instrumentarium, in dem sich die Einflüsse seiner Lehrer Salvatore Sicarrino und Helmut Lachenmann aufs Glücklichste bündeln: Er weiß den Instrumenten immer wieder nie gehörte Klänge zu entlocken, die jedoch nie theoretisch erdacht, sondern ganz aus dem körperlichen Kontakt mit ihnen abgeleitet sind. Diese haptische Komponente legt Billone der Erfindung harmonischer und formaler Strukturen zugrunde, so dass seine Werke im Grunde ganz der Logik klanglicher Erfindungen, basierend auf einem unbefangenen und häufig voraussetzungslosen Umgang mit den Klangerzeugern, folgen.

Petra Stump und Heinz-Peter Linshalm leisten Außerordentlich bei der Wiedergabe dieser technisch diffizilen und klanglich bisweilen so zarten Musik. Sie sorgen mit jedem Atemzug dafür, dass das Konzept aufgeht, auch wenn der Zuhörer dabei nicht gerade geschont wird. Liebhaber zeitgenössischen Musikschaffens dürften sich an diesen bis in den letzten Nachhall nachgehörten Klängen erfreuen, die mal laut hervorplatzen, mal sich in Mikrointervallabständen aneinander reibend aus der Höhe herabstürzen, mal wie eine Alarmsirene aufheulen, manchmal aber auch nur zerbrechlich in den Raum tasten oder kraftlos verhauchen. Und dann sind da noch das Alternieren von Zungen- oder Klappenschlägen, die Einbeziehung von Stimmaktionen, die sensibel ausgehörten Mehrklänge oder auch die Klangverbindungen, die an elektronische Klangerzeuger erinnern: Eine kaum übersehbare Skala von emotionalen Schattierungen ist da ausgebreitet und verlangt den Musikern ihr ganzes Können ab.

Billone nutzt den Raum zwischen den getrennt voneinander aufgestellten Instrumentalisten als Ort, an dem sich all diese Klänge miteinander vermischen, definiert ihn zugleich aber auch als Grenze, an der sich das Ähnliche scheidet und für die Wahrnehmung in Getrenntes auseinander fällt. Diese Idee lässt sich außergewöhnlich gut nachvollziehen, weil die Produktion des österreichischen Labels Kairos in klangtechnischer Hinsicht einfach atemberaubend ist. Einziges Manko hierbei ist, dass man den haptischen Aspekt, den Ausgangspunkt der Musik von der Berührung und Begegnung mit dem Instrument, nicht visuell nachvollziehen kann. Aber das lässt sich bei einer CD eben nicht vermeiden und bleibt so der Imaginationskraft des Hörers vorbehalten.

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