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Vienna Reed Quintet - montforter zwischentöne

Drei Abende – drei Begräbnisse
Mit Philosophie, Musik und Architektur

Altes Hallenbad Feldkirch
Reichenfeldgasse
6800 Feldkirch

Maria Frodl

Drei Auftragsnachrufe, eine Totenkapelle und Trauermusik

Musik: Vienna Reed Quintet
Bühne: Helmut Dietrich und Hugo Dworzak

1 Das Begräbnis der Gewissheiten
durch die Philosophin Alice Lagaay

Jean Philippe Rameau - aus "Suite la Triomphante” Prelude und Allemande (Arr. Raaf Hekkema)
Carola Baukholt - Zugvögel (2011/12)
Nina Simone - For all we know (Arr: Jelte Althuis)
Maurice Ravel - aus "Le Tombeau de Couperin” Menuet und Toccata (Arr: Raaf Hekkema)
Mittwoch, 26. Februar, 19 Uhr

2 Das Begräbnis der Privatsphäre
durch den ehemaligen deutschen Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar

Josquin Desprez - Nymphes des Bois (Arr: Lukas van Helsdingen)
Viola Falb - Wohin? - geh nicht zu weit… (2020) UA
Arcangelo Corelli - Sonata op.5 Nr.12 La Folia  (Arr: Raaf Hekkema)
Marc Mellits - aus „Splinter” Cherry, River Birch und Red Pine
Donnerstag, 27. Februar, 19 Uhr

3 Das Begräbnis der Muße
durch den Philosophen Thomas Macho

Maurice Ravel - aus "Le Tombeau de Couperin” Fugue und Rigaudon  (Arr: Raaf Hekkema)
Johannes Ockeghem - Mort tu as navre (Arr: Raaf Hekkema)
George Gershwin - aus "An American in Paris" (Arr: Raaf Hekkema)
Jean Philippe Rameau - aus "Suite la Triomphante” Triomphante und Gavotte (Arr. Raaf Hekkema)
Freitag, 28. Februar, 19 Uhr

Drei Philosophen halten eine Trauerrede. Dazu gibt es herzzerreißende Musik von den Holzbläsern des Vienna Reed Quintet in einem ganz besonderen Raum. Jeder Abend ist einzeln buchbar.

montforter zwischentöne

Die Bühne – Kapelle für Abgesänge

Vorarlberg verfügt im Verhältnis zu seiner Größe über eine der vielfältigsten Architektur- und Grafikdesign-Szenen Europas. Neben unserer laufenden Zusammenarbeit mit den führenden visuellen Gestalterinnen und Gestaltern der Region beauftragen die Montforter Zwischentöne einmal pro Jahr Persönlichkeiten der Vorarlberger Baukunst mit dem Entwurf eines Theaterraums.

Für die Begräbnis-Reihe mit philosophischen Nachrufen gestalteten die drei Vorarlberger Baukünstler Helmut Dietrich, Hugo Dworzak und Christina Schlüter eine Bestattungskapelle im Alten Hallenbad Feldkirch.

Helmut Dietrich studierte Architektur an der Technischen Universität Wien bei Ernst Hiesmayr. Während des Studiums arbeitete Helmut Dietrich regelmäßig bei Paolo Piva in Biella und nach dem Diplom 1985 in dessen Atelier in Venedig. 1994, nach dem gewonnenen Wettbewerb für das Festspielhaus Bregenz, gründeten Helmut Dietrich und Much Untertrifaller ein gemeinsames Büro. Heute beschäftigen sie rund 100 Mitarbeitende an den Standorten Bregenz, Wien, St. Gallen, Paris und München.

Seit 2011 leitet Helmut Dietrich an der Kunstuniversität Linz den Lehrgang ›überholz‹ und seit 2006 den Workshop Design FH Technikum Kärnten, Spittal und Udine. Hugo Dworzak, studierte Architektur an der Universität Innsbruck. 1989 folgte der Master of Architecture am Pratt Institute (NY) sowie die Gründung seines Büros in Dornbirn. Bereits seit 1990 engagierte er sich in der Lehre und unterrichtete an der Universität Innsbruck und als Gastprofessor an diversen internationalen Universitäten. Seit 1999 ist er an der Universität Liechtenstein tätig, wo er von 2012-2016 Leiter des Instituts für Architektur und Raumentwicklung war.

Musik für das Ende eines Lebensgefühls – Vienna Reed Quintet

Das Quintett begleitet, auf Wunsch der Hinterbliebenen, die Trauerfeiern mit einem breiten Repertoire von der Renaissance bis zur Gegenwart, mit Musik von Josquin Desprez, Johannes Ockeghem, Arcangelo Corelli, Jean-Philippe Rameau, Maurice Ravel, Marc Mellits, Nina Simone, George Gershwin, Carola Bauckholt und eine Uraufführung von Viola Falb.

Heri Choi – Oboe
Heinz-Peter Linshalm – Klarinette
Alfred Reiter – Saxophon
Petra Stump-Linshalm – Bassklarinette
Marcelo Padilla – Fagott

Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, 27.02.2020 |  Silvia Thurner

Gewissheit beerdigen und Wissen durch Kunst wecken – Die Philosophin Alice Lagaay besprach Komplexes und setzte Lichtpunkte

Im Rahmen der Montforter Zwischentöne finden drei Begräbnisse statt, zu Grabe getragen werden die Gewissheit, die Muße und die Privatsphäre. Dazu kreierten die Baukünstlerin Christina Schlüter und die Architekten Helmut Dietrich und Hugo Dworzak einen an der Apsis der Kathedrale in Chartre angelehnten Bühnenraum mit einem nach hinten gezogenem Baugerüst, das an Notre-Dame denken ließ. Die in Hamburg tätige Philosophin Alice Lagaay hielt eine eindrucksvolle, aber auch sehr anspruchsvolle Trauerrede mit manchen Einsichten, die aufhorchen ließen. Zur sakralen Atmosphäre im Alten Hallenbad passte die Musik des Vienna Reed Quintet hervorragend.

Alice Lagaay hielt ihren Nachruf auf die Gewissheit(en) vor einer großen „Trauergemeinschaft“. In drei Teilen und mit der Bemerkung, dass unser Kulturkreis von der Dreiteiligkeit mitbestimmt sei, legte sie ihre Rede an. 
Sogleich im „ersten Takt“ fragte sich die Philosophin selbst und die Zuhörenden, wie wir überhaupt wissen können, dass wir Gewissheit haben. Dabei bezog sie sich auf Platon und Sokrates sowie auf den berühmten Satz von René Descartes „Ich denke, also bin ich“, den dieser nach Zweifeln seiner Erkenntnisfähigkeit formuliert hatte. Eine bedeutende Schlussfolgerung zog die Philosophin mit der Bemerkung, dass Gewissheit, die ohne Zweifel präsentiert werde, sehr rasch in Tyrannei ausarte. Meistens gingen und gehen Gewissheiten aus patriarchalen Herrschaftsstrukturen hervor.

Gewissheiten aufbrechen

Spannend und wohltuend lenkte die Philosophin den Blick weiter auf die Erkenntnisse des Dekonstruktivmus in Anlehnung an den französischen Philosophen Jacques Derrida. Gewissheiten, in deren Kernaussagen eine Irritation oder ein „Kitzeln“ stattfinde, bräuchten wir, betonte Alice Lagaay in diesem Zusammenhang. Sie hielt auch ein Plädoyer für die Wertschätzung von Erfahrungen und die vielfältigen Gewissheiten, die jede und jeder Einzelne in sich trägt. Genau dieses Sammelsurium an Wissen und Erfahrungen – „knowing what“ und „knowing how“ – zeichnet eine multikulturelle Gesellschaft aus. Die Kluft zwischen Erfahrungen und Wissen von Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen aufeinandertreffen, ergeben Vielfalt, unterstrich die Rednerin und zeigte auf, wie gleichgeschaltet und gleichförmig unsere Gesellschaft ohne diese Klüfte wäre. 

Hirn-, Herz- und Bauchwissen

Weiters plädierte die Philosophin für einen ehrlichen Umgang mit Unwissenheit und kam schließlich im dritten Teil ihres Vortrages auf die Kunst, das spontane Handeln und die Intuition zu sprechen. Der Moment des Zweifelns ist wichtig in diesem Spiel, Unterbrechungen und das Ungewisse eröffnen Räume, in denen Neues entstehen und definiert werden kann, zeigte Alice Lagaay auf. Allerdings, betone sie, dass das Vertrauen auf die Intuition erlernt werden müsse. Diese Gewissheit sei eine Haltung und ein Sein im Moment. Ihre Rede beendete die Philosophin mit einem Satz, der zum Weiterdenken anregte. „Wir streben nach einem Modus des Zusammenlebens, den wir noch nicht kennen.“
Die Ausführungen von Alice Lagaay regten das aktive Mitdenken an und erinnerten an – hierzulande kaum stattfindende – universitäre Philosophievorlesungen.

Musikalische Reflexionsflächen

Das Vienna Reed Quintet, mit Heri Choi (Oboe und Englischhorn), Heinz-Peter Linshalm (Klarinette), Alfred Reiter (Saxophon), Petra Stump-Linshalm (Bassklarinette) und Marcelo Padilla (Fagott), fügte sich klanglich und musikalisch hervorragend in den sakralen Raum ein. Die Werkauswahl mit Rameau und Ravel sowie Nina Simones „For All We Know“ boten musikalische Felder, die zur Reflexion einluden. Besondere Aufmerksamkeit lenkte das Werk „Zugvögel“ von Carola Bauckholt auf sich. Mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ließen die Musikerinnen und Musiker die musikalischen Linien driften, einzelne Motive fungierten als Auslöser neuer Entwicklungslinien. Mit Mundstücken fabrizierte animalische Laute glichen sich allmählich an und lösten sich in Schwebungen, Liegetönen, Luft- und Klappengeräuschen auf.

Kaleidoskop der Veränderung

Ein Clou des von Christina Schlüter, Helmut Dietrich und Hugo Dworzak gebauten Bühnenraumes bestand darin, dass auf dem dreiteiligen Paravent zuerst die Fensterbilder aus der Kathedrale in Chartre projiziert wurden. Allmählich begannen die Bilder zu driften und veränderten sich in ein feinsinniges Farbenspiel aus Rosetten, Mustern und Mandalas. Das abwechslungsreiche Spiel mit den Formen und Farben ergänzte sich gut mit der Musik, wirkte jedoch während des Vortrags von Alice Laagay eher störend, denn ihre Ausführungen forderten eine ungeteilte Aufmerksamkeit ein.
Zu einem Begräbnis zählen auch eine Lesung sowie Fürbitten. Auch sie wurden bei den Montforter Zwischentönen gegeben. Augustin Jagg las das Märchen „Das irdische Paradies“. Darin konnten die Menschen nicht in Erfahrung bringen, welche Welt sich hinter dem Berg verbindet. Gut band die Philosophin das Märchen in ihre Überlegungen ein. Die ergänzenden Fürbitten, vorgetragen von Augustin Jagg, Monika Bauer und Ian Tarmann, boten eine willkommene Zusammenfassung des vorangegangenen Vortrages.